Mutterrecht

Mutterrecht
Mụt|ter|recht 〈n. 11; unz.〉 rechtliche Einordnung des Einzelnen innerhalb der Familie nach seiner Abstammung in der mütterlichen Linie; Ggs Vaterrecht

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Mụt|ter|recht, das:
1. (Völkerkunde) rechtliche Ordnung, in der Abstammung u. Erbfolge der mütterlichen Linie folgen.
2. einer Mutter zustehendes Recht:
die -e stärken.

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I
Mutterrecht,
 
eine von dem schweizerischen Rechtshistoriker Johann Jakob Bachofen definierte frühgeschichtliche Familienform, derzufolge das Erbrecht der mütterlichen Linie folgt; vererbt wurde von der Mutter auf ihre Töchter. Das Mutterrecht ist nach den umstrittenen Thesen von Bachofen als Anfangsstadium der menschlichen Gesellschaft (Matriarchat) dem Vaterrecht (Patriarchat) vorausgegangen.
 
Besondere Autorität genießt im Mutterrecht der älteste Bruder der Mutter, er übernimmt in mancherlei Hinsicht die Vaterrolle. Mutterrechtliche Organisationsformen finden sich vereinzelt unter den Naturvölkern und bei einigen Volksgruppen in Afrika und Asien. Meist geht mit dem Mutterrecht eine freiere Stellung der Frau, sexuelle Freizügigkeit und eine geringere Bedeutung der Monogamie einher.
II
Mutterrecht,
 
von J. J. Bachofen (1861) geprägter Begriff für das Anfangsstadium menschlicher Gesellschaft, in dem seiner Ansicht nach nur die mütterliche Abstammung maßgeblich gewesen sei, heute vielfach als Synonym für Matriarchat verwendet. Bachofen unterscheidet dabei zwei Phasen: »Hetärismus«, d. h. ungeregelter Geschlechtsverkehr (Promiskuität) und Eigentumslosigkeit, und »Gynäkokratie«, Vererbung von Eigentum und Status in weiblicher Linie, soziale Dominanz der Frau. Darauf folge erst das Vaterrecht. Diese auch vom Marxismus übernommene Rekonstruktion der Gesellschaftsentwicklung ist heute nicht mehr haltbar. Bachofen hat jedoch richtig gesehen, dass es matrilineare Gesellschaftsordnungen gibt (in denen die mütterliche Abstammungslinie zählt); man rechnet zu ihnen etwa ein Achtel der traditionellen Gesellschaften. Sie sind gekennzeichnet durch die Kombination zumindest einiger (selten aller) der folgenden Merkmale: 1) matrilineare Abstammungsrechnung; 2) matrilokale Wohnfolgeordnung; 3) Leugnung (oder nicht volle Anerkennung) des männlichen Anteils an der Zeugung; 4) voreheliche Geschlechtsfreiheit, weitgehende sexuelle Selbstbestimmung der Frau, leichte Ehescheidung; 5) Eheformen wie Besuchsehe, Dienstehe oder Polyandrie; 6) Vererbung von Eigentum, Ämtern, Status in weiblicher Linie; 7) hervorgehobene soziale Stellung der Frau (nicht jedoch politische Vorherrschaft, Matriarchat); 8) Bedeutung des Bruders der Mutter, der manche Aspekte der Vaterrolle übernimmt (Avunkulat); 9) Betonung der Geschwisterbeziehung und der Gruppenbildung Gleichaltriger (Altersklassen) auf Kosten der Ehe; 10) hervorgehobene Rolle der Frau in Mythos und Kult. Am häufigsten sind mutterrechtliche Organisationsformen unter den Naturvölkern Ozeaniens, Afrikas und Amerikas verbreitet, besonders bei Pflanzervölkern, aber auch gelegentlich bei Jägern und Sammlern, Hirtenvölkern und in frühen Hochkulturen.
 
 
Wilhelm Schmidt: Das M. (Wien 1955);
 W. E. Mühlmann: Das M., in: W. E. Mühlmann: Rassen, Ethnien, Kulturen (1964);
 G. P. Murdock: Social structure (Neuausg. New York 1967);
 H.-J. Hildebrandt: Der Evolutionismus in der Familienforschung des 19. Jh. (1983);
 J. J. Bachofen: Das M. (Neuausg. 61985);
 
Das M. von Johann Jakob Bachofen in der Diskussion, hg. v. H.-J. Heinrichs (Neuausg. 1987).
 
Weitere Literatur: Matriarchat.

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Mụt|ter|recht, das (Völkerk.): rechtliche Ordnung, in der Abstammung u. Erbfolge der mütterlichen Linie folgen.

Universal-Lexikon. 2012.

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